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Beteiligung ist gefragt: „Denn man baut sich immer die Stadt, die man haben möchte“

27. September 2017

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Direktorenvilla und Produktionsstätte. Die Villa von 1900 ist heute ein modernes Architekturbüro, die alte Fabrik aus dem Jahre 1852 wird AWO-Adresse für Menschen mit Handicap. Fotos: Simone Melenk

Nach 12 Stunden an der Walze war endlich Feierabend: Die Arbeiter stiegen müde die Stufen rauf. Sie wohnten im Dachgeschoss – quasi über den Maschinen. Arbeiten und Leben in der Stadt war damals, Ende des 19. Jahrhunderts, untrennbar miteinander verbunden.

Die alte Gravur-Anstalt an der Walder Straße, 1852 von geschäftstüchtigen Sachsen in Zeiten einer florierenden Textilindustrie im Bergischen Land in Betrieb genommen, wird aktuell von BDA-Architekt Christof Gemeiner umgebaut. Der Backsteinbau soll künftig als AWo-Einrichtung Anlaufstelle für Menschen mit Handicap sein. Ins Erdgeschoss ziehen Büros, aber auch ein Café, im Obergeschoss ist Platz fürs Wohnen. Mit der Direktorenvilla an der Straße, heute modernes Architekturbüro (Gemeiner) in einem Denkmal und sogar – laut Auszeichnung beim Landespreis NRW – „vorbildlicher Arbeitsort“ scheint das Gelände auf einem guten Weg. Aber die Brache mit aufgegebener Tankstelle, Autohaus, Lagerhallen und endlos scheinenden Garagenhöfen bietet noch viel mehr Platz für viele andere Nutzungsideen.

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Blick über die große Brache mitten in der Stadt: Hier ist noch viel Platz für viele andere Nutzungsideen.

Brachen, das ist immer wieder ein großes Thema für den Bund Deutscher Architekten (BDA). Der BDA Bergisch-Land hatte an die Walder Straße eingeladen, genau hier die richtige Mischung zu suchen, „ein neues Gefühl für Stadt“ – in diesem Jahr der Titel der BDA-Landesreihe.

Mit Jan Kampshoff, Architekt und einer der kreativen Köpfe im Büro modulorbeat (Münster), hatte der BDA einen anerkannten Spezialisten für Zwischennutzungen, Grenzgebiete und Übergangsorte eingeladen. Kampshoffs Thema in Hilden: „Gezielte Nadelstiche, urbane Akupunktur“.

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Jan Kampshoff: Architekt, Kreativer, Künstler, auch Musiker, vor allem Netzwerker. Und Professor an der TU Berlin. Er lehrt den Architektur-Nachwuchs das Entwerfen und Gestalten.

Das Atelier modulorbeat arbeitet im Spannungsfeld von Architektur, Stadt und Landschaft. Das Büro setzt auf interdisziplinäre Projektarbeit. Neben Architekten und Urbanisten im Kernteam bilden Designer, Journalisten, Fotografen und Künstler ein aktives Netzwerk. Modulorbeat spürt kulturelle Milieus auf und hat vor allem die Beteiligung im Blick. So wurden von den Künstlern, die auch Architekten sind, so wegweisende Projekte initiiert wie die One Man Sauna in einer Bochumer „Steppe“, der eMobility Cube in der Autostadt Wolfsburg, die Sofortstadt Apolda oder auch das Beteiligungsprojekt HausAufgaben im Münsterland.

Für Kampshoff bleibt das zentrale Thema:

„Was müssen wir eigentlich machen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen?“

Vor dem Hintergrund der aktuellen Bundestags-Wahlergebnisse sicher ein richtiger Ansatz, aktueller denn je. Im Alltagsgeschäft mit der Alltagsarchitektur sehen Planungs- und Beteiligungsverfahren mitunter etwas anders aus, gestalten sich oft mühsam. Oder sie entwickeln sich vielmehr aus eigener Kraft, durch bürgerschaftliches Engagement. BDA-Architekt Jochen Siebel (Haan) nannte als Beispiel die Alte Pumpstation, die er umbaute und die heute nicht nur junge Firmen beherbergt, sondern dank ehrenamtlichen Engagements auch ein attraktiver Kulturort wurde. Auch der Einsatz von vielen Akteuren der Gemeinde für das Atrium St. Jacobus in Hilden hätte sich gelohnt, meinte Mitinitiator Peter Stuhlträger, „endlich ist hier Leben.“ Die BDA-Architektin Christiane Gerold-Tenbuhs warb für eine alte verbaute Fabrik in Solingen, die jüngst auf ihrem Tisch landete. Auch hier könnten Menschen begeistert werden, Feuer fangen für originelle Nutzungen, eigene Ideen verwirklichen. Für Jan Kampshoff, der als Architekt die Hardware (das Bauen) als auch die Software (der Inhalt) liefert, steht fest: „Man baut sich immer die Stadt, die man haben möchte.“ (Text: Simone Melenk)

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„Die Mischung macht’s – ein neues Gefühl von Stadt“: auch in Hilden, in Haan oder Solingen. Der Abend zum BDA-Jahresthema stieß auf viel Interesse.