Themen

,

Dem Unsichtbaren Umgebung geben. Ein Portrait des Architekten und Bildhauers Professor Wolfgang Körber

16. Januar 2020

Vor sechs Jahren, anlässlich seines bevorstehenden 80. Geburtstags leitete der Architekt und Bildhauer Professor Wolfgang Körber die Schenkungen von Skulpturen an die Städte Solingen, seiner Heimatstadt und Potsdam, seiner Geburtsstadt ein. Solingen bekam sieben Skulpturen auf einen Schlag. Das Vorhaben in Potsdam scheiterte an einem Platzproblem. Wilhelmshorst, eine Gemeinde nahe Potsdam, in der Körber seine Kindheit verbrachte, ist anstelle von Potsdam seit 2019 Besitzer eines „Körbers“. Wir haben Wolfgang Körber aus Anlass seines 85. Geburtstags in Solingen besucht, weil wir mehr von diesem kreativen Menschen erfahren wollten. 

Rainer Paetau
Rainer Paetau
„Das Werkzeug des Architekten“, Körber 2019

BDA: Wie kam es zur Schenkung in Wilhelmshorst?

Körber: 2019 bekam ich einen Anruf von einem Historiker, der die Vergangenheit von Wilhelmshorst aufarbeitete und etwas über meinen Vater Erhard Körber wissen wollte. Mein Vater war für diesen Ort ein wichtiger Architekt, der dort 30 Häuser gebaut hatte. Im Gespräch fragte ich ihn, was er davon hielte, wenn ich dem Ort eine Skulptur schenkte. Er war sofort  begeistert und angetan von der Idee. Ich hatte auch schon einem bestimmten Platz für die Skulptur im Auge. Auf Basis von Zeichnung und Fotomontage fand der Entwurf die Zustimmung der Gemeindevertretung. Die Skulptur wurde gefertigt und im Dezember 2019, einen Tag nach meinem Geburtstag in Wilhelmshorst aufgestellt. Das ging alles innerhalb von acht Monaten über die Bühne, eine irrsinnig schnelle Zeit.

Wolfgang Körber, Foto: M. Medam

BDA: Die Skulptur heißt „Das Werkzeug des Architekten“. Wie entstand der Titel?

Körber: Sie ist das Pendant zur großen weißen Skulptur „Dat Look“ in Solingen. Die Skulptur in Solingen ist flächig aufgefasst, die in Wilhelmshorst linear. Die Grundform für beide ist ein Oktaeder, das sich aus drei Quadraten, drei Kreisen, acht Dreiecken, sechs Ecken und aus 12 Kanten zusammensetzt.  Diese Elemente sind typisch für die Arbeit eines Architekten. Mir schien der Titel passend als Würdigung für meinen Vater und als eine Idee, mit der sich die Bürger auseinandersetzen können.

BDA: „Dat Look“ ist eine von sieben Skulpturen, die Sie 2018 der Stadt Solingen geschenkt haben. Wie kam es dazu?

Körber: Durch einen interessanten Zufall. Ein Redakteur einer Solinger Tageszeitung fragte mich nach meinen Erfahrungen mit Kunst im öffentlichen Raum. Dazu konnte ich ihm nichts sagen, aber ich erwähnte, dass ich etliche Skulpturen auf meinem Grundstück stehen habe, die dort weg müssten. Wenn sie keiner will, würden sie vernichtet. Es erschien ein großer Artikel mit Foto, in dem es ein wenig missverständlich hieß, wenn die Stadt sich nicht um die Skulpturen kümmert, dann schmeißt der Körber seine Werke weg. Der neue Oberbürgermeister fühlte sich in die Pflicht genommen und wollte mich kennenlernen. Den ersten Termin musste er verschieben, weil gerade seine Zwillinge geboren wurden. Ich wertete das als gutes Zeichen und habe meine Arbeit „Dat Look“ dann auch den Zwillingen gewidmet. „Ich am Ende und die Jungs am Anfang des Lebens“ – das fand ich sehr schön. Im September 2018 fand dann die Übergabe statt.

(Anmerkung der Redaktion: Den ausführlichen Bericht dazu finden Sie hier.)

BDA: Der Materialwert der Objekte ist hoch, Sie haben aber schon öfter Ihre Arbeiten einfach so verschenkt.

Körber: Das ist mein privates Vergnügen, dass ich mir den Spaß gemacht habe, Skulpturen zu entwerfen, Bilder zu malen etc. Aber ich habe selten jemanden gefunden, der daran interessiert war, die Werke zu kaufen. Ich bin uralt, ich kann nichts mitnehmen. Bevor ich die Skulpturen verschrotten lasse, ist es doch viel schöner, sie stehen irgendwo und werden betrachtet. Es ist da auch die Eigenliebe, die sich freut, wenn sich das Geld vom Konto wandelt in eine Art geistige Dimension.

BDA: Warum die Größe?

Körber: Also, der Schwung, der von einem Kreis ausgeht, die Dynamik, die da drin ist, ist erst in diesem Format richtig erlebbar. Ich habe die Skulptur „Dat Look“ ja hier auch in klein. Aber, na ja, sie sieht hübsch aus, aber sie bringt das Erlebnis gar nicht mit. Der Betrachter geht nicht so nah daran wie ich. Ich kann mir vorstellen, wie einen der Kreis umfasst und wegreißt. Damit auch der Betrachter mein Erlebnis erfährt, muss die Skulptur so groß sein.

BDA: Sind Ihre Objekte auch Architektur?

Körber: Dass meine Arbeiten auch mit Architektur zu tun haben, ist unstrittig. Aber das überlasse ich dem Betrachter, wo er sie einordnet. Ich kümmere mich um die Frage nicht.

Monika Medam
Monika Medam
Zwei Körber Skulpturen im Botanischen Garten Solingen

BDA: Was ist Ihre Inspirationsquelle oder anders: wie entsteht ein neues Projekt?

Körber: Grundsätzlich sind es Neugier und Beobachtung. Ich gucke wahnsinnig gerne, das ist lebensbestimmend. Ich konnte mich schon als Kind an einer Streichholzschachtel totgucken. Ich schaue in den Garten und bewundere die Vögel, die sich mit höchstem Tempo durch den Raum bewegen, ohne an einen Zweig anzustoßen. Für mich ist der Raum die größte Inspirationsquelle, die man sich denken kann. Wenn ich aus dem Flugzeug schaue und diesen weiten Raum sehe, dann bin ich fasziniert von der ungeheuren Kraft, die von diesem Nichts ausgeht. Das hat für mich die Magie des schwarzen Lochs. Das ist für mich das große Rätsel. Diese Thematik interessiert mich außerordentlich – „dem Unsichtbaren Umgebung geben“ ist mein Leitmotiv. Deswegen heißt die Solinger Skulptur auch „Dat Look“ das Loch und Look von englisch Schauen. Wenn Sie das materialisieren, dann gibt es immer ein Davor und ein Dahinter, ein Durchschreiten von einem Raum in den nächsten. Da finden Verwandlungen mit Ihnen statt. Vor der Tür oder hinter der Tür, das sind zwei ganz verschiedene Bereiche.

BDA: Sie haben einmal gesagt, Ihre Kunstwerke sollen keine individuelle Handschrift aufweisen. Warum ist das bei Ihnen so? Normalerweise ist Künstlern das Eigene doch sehr wichtig.

Körber: Das geht mir zu weit. Das ist mir zu sehr Ich. Mir geht das auf den Keks. Ich habe ja ein Ich und auch nicht zu knapp. Ich möchte mich lieber in eine Reihe von Leuten sehen können, die so etwas Einfaches gemacht haben wie eine Schere, oder einen Hammer oder einen Ziegelstein. Der Ziegelstein ist eine grandiose Erfindung. Der Körber ist nichts anderes als ein Ziegelstein. Die Idee finde ich wunderschön. Der Gedanke gefällt mir.

BDA: Und trotzdem ist es so, dass man, wenn man sich mit Ihren Skulpturen befasst, denkt: „Ein typischer Körber.“

Körber (lacht): Da kommen Sie nicht drum herum. Das passiert. Aber das ist ja auch in Ordnung. Aber dadurch, dass man sich zurücknimmt — so bilde ich mir ein — wird eine Wirkung erzielt, die andere wahrnehmen, denn sie verhalten sich respektvoll. Denken Sie an die weiße Skulptur in Solingen, die reizt doch geradezu, mal eben mit dem Farbspray drüber zugehen – aber nichts ist passiert, bis jetzt jedenfalls.

BDA: In der Malerei gibt es den individuellen Strich in einer bestimmten Situation.

Körber: So habe ich angefangen. Ich wollte mit den Farben eine Tiefe entwickeln, eine Membrane hinkriegen. Einem Journalisten, der mich fragte, was ich da male, habe ich gesagt, ich male Gas. Das hat ihn sehr beeindruckt. Bei den großen Arbeiten könnte man ja annehmen, dass ich das Gestische in besonderem Maße verfolgt hätte. Da trifft sich das Willkürliche- ich male einen Strich mit einem Pinsel, an dem viel Farbe ist – mit dem Zufälligen – die Farbe läuft runter. Das ist so gewollt. Es geschieht. Das war eine Phase, in der ich diese Dinge ausprobiert habe. Danach war das erledigt.

Monika Medam
Monika Medam
Atelier/ Showroom von Wolfgang Körber in Solingen
Monika Medam
Monika Medam
Holzmodelle Atelier Körber

BDA: Ihr Vater war Architekt. Welche Bedeutung hatte er für Ihren eigenen Weg?

Körber: Ich wollte kein Architekt werden. Ich wollte Maler werden und nichts anderes. Das wusste ich mit dreizehn, mit vierzehn bin ich von der Schule abgehauen. Ich hatte eine Eins in Zeichnen, aber das galt ja nichts, Mathe und Latein waren wichtiger. Wie mein Vater da reagiert hat, ist über jeden Tadel erhaben. Er hatte Verständnis für meine Entscheidung und riet mir, in Wuppertal die Werkkunstschule zu besuchen. „Wenn du Grafiker wirst, dann kannst du malen und verdienst auch noch Geld.“ Das war seine sehr einfache Überlegung.  Mit Architektur hatte das noch gar nichts zu tun. Mein Vater hatte nach dem Krieg einen großen Auftrag als Architekt, wurde aber krank, außerdem wollte der Bauherr abspringen, weil ihm der Entwurf nicht mehr gefiel. Ich habe mir dann Papier geschnappt und ein Haus nach dem anderen gemalt. Ich bin mit meinen Entwürfen zum Bauherrn gegangen und habe gesagt „Wir können auch anders.“ Er war ganz angetan — vermutlich von meinem Auftritt — und machte die Zusage, dass, wenn mein Vater wieder gesund sei, es mit ihm gemacht werden soll. So hatte ich mich plötzlich auf die Seite der Architektur geschlagen. Die Zusammenarbeit mit meinem Vater hatte mich so gepackt, dass ich mein Studium nicht mehr fortsetzen wollte. Mein Vater ließ aber nicht locker. Mit 20 habe ich dann meinem Abschluss mit Auszeichnung bestanden.

BDA: Sie haben nicht Architektur studiert, sondern von Architekten gelernt?

Körber: Ja, vermittelt durch meinen Vater. Ich bin durch ihn an sehr anspruchsvolle Architekten herangeführt worden. Ich habe das natürlich „gefressen“. Mein Vater übernahm den Part der Technik, davon wusste er alles – Statik, Konstruktion usw. Mir überließ er den Part der Gestaltung.

BDA: Was haben Sie den Studierenden mit auf den Weg gegeben in Ihrer Zeit als Universitätsprofessor an der Uni Wuppertal?   

Körber: Es ging mir hauptsächlich darum, den Studierenden zu sagen, dass ich sie nichts lehren kann. Gestaltung ist nicht lehrbar. Wenn sie lehrbar wäre, dann könnte ich aus dem Hausmeister nach acht Semestern einen perfekten Gestalter machen. Das geht aber nicht. Die Voraussetzung ist eure Begabung. Das heißt auch, dass nicht die Meinung der Lehrer der Maßstab ist, sondern Ihr müsst euch selbst befragen. Ihr seid die kreative Kraft. Im Studium geht es um erlernbare Hilfsmittel, z.B. wie verhält sich Farbe, was ist Komposition, etc. Früher ganz im Anfang der Lehre habe ich gesagt: Da, wo ich bin ist Vorne. Später habe ich gesagt: Mich gibt’s nicht, es gibt nur euch untereinander, und ich bin der Moderator. Eine andere Devise von mir war: Nicht denken, sondern machen. Die Studierenden hatten sich den Kopf zerbrochen und ihre Spontanität verloren. Die größtmögliche Unbefangenheit musste wieder hergestellt werden. Dann kamen sehr schöne Arbeiten dabei heraus.

BDA: Sie waren sehr gefragt im Bereich Kommunikationsbauten und Messebau. Wie kam es dazu?

Körber: 1963 habe ich durch einen Zufall einen großen Auftrag von Ford in Köln bekommen. Es ging um den 100sten Geburtstag von Henry Ford, dem Erfinder der Serienproduktion im Automobilbau. Fünf Architekten waren angefragt worden, ich war einer von ihnen. Meine Idee war, das Thema beispielhaft mit der Radkappe zu visualisieren. Die Radkappe steht für Rad, für Glanz, für etwas Außergewöhnliches und Wichtiges. Es passte in die Zeit, in der an den Autos herumgewienert wurde und Chrom das Größte war. Ich machte ein Modell, nicht im Maßstab wie angegeben, sondern im Maßstab wie ihre Modellautos waren, damit man die da rein stellen konnte. Punkte aus Alu-Folie kamen auf schwarze Gaze, ein Vorhang für das Messestandmodel. Später hat man mir dann erzählt, hätte man nur vor einem Modell gestanden – vor meinem. Ich war gerade mal 28 und wurde dann respektvoll aufgenommen in den Club der alten Herren Ausstellungsgestalter. Das war toll. Ich dachte danach, ich bräuchte nur neben dem Telefon zu sitzen, und die Aufträge kämen nur so reingerauscht. Das war aber nicht so.

Es sollte eine Weile dauern. Ich hatte mich mit meiner Klasse in Wuppertal mit kinetischer Kunst beschäftigt. Auf einem Grafikforum lernte ich den Werbeleiter einer Frankfurter Schriftgießerei kennen. Dem gefiel das, was ich machte und daraufhin sollte ich den Entwurf für einen Messestand seiner Firma für die Drupa in Düsseldorf machen. Dieser Stand war mit tanzenden Buchstaben ausgestattet. „Sie haben für uns die Schrift neu entdeckt“ war das Lob. Der Werbeleiter erzählte von dem Erfolg in seinem Bekanntenkreis, zu dem auch ein AEGmann gehörte. Der meldete sich und fragte nach, ob ich für die Hannover Messe ein Lichtobjekt machen könnte. Ich sagte daraufhin: Entweder mache ich den ganzen Messestand oder ich mache gar nichts. Ich konnte so frech sein, weil ich ja beamtet war. Das war wunderbar entspannend. Ich habe mich dann doch überreden lassen, ein Lichtobjekt zu entwerfen. Jedoch in einer begehbaren Größe. So entstand das Funktionsmodell Luxurama im Maßstab 1:10. Dort konnte man Licht, Farbe, Bewegung im Raum erleben. Fazit: Endlich einer der etwas von Lichtlenkung versteht. Letztlich wurde das Projekt wegen einer Haushaltsperre nicht umgesetzt, aber man hatte mich im Hinterkopf behalten. Von AEG empfohlen kam Telefunken. Zum ersten Termin hatte ich mich um zwei Stunden verspätet. Trotz dieser Panne wurde ich um einen Entwurf für die Funkausstellung in Berlin gebeten. Ein Modell veranschaulichte die Idee, sieben Meter hohe Türme mit übereinander gestapelten Geräten der Unterhaltungselektronik, wie Bäume in einem Wald, in der 2500 Quadratmeter großen Telefunkenhalle aufzustellen. Die Skepsis war deutlich zu spüren. Prompt kam der Einwand es seien zu viele Türme, da müssen einige weg. Mein Einwand: „Dann machen Sie ja einen Kahlschlag.“ Alles lachte. Der Kritiker war der Chefverkäufer und hieß Kahle. Der Bann war gebrochen, ich arbeitete danach zehn Jahre für Telefunken.

Hansjürgen Hölzer
Hansjürgen Hölzer
Wohnhaus in Leichlingen, Entwurf Wolfgang Körber 1973

BDA: Waren Messestände Ihre große Leidenschaft?

Körber: Nein. Wohnhäuser waren die Krönung. Messestände musste man ja wieder abreißen. Und es fummelten am Messestand ab einer bestimmten Größe etliche dran herum, die ihre eigenen Wünsche unterbringen wollten auf Kosten der Konzeption. Das war oft stressig.

Wohnhäuser zu entwerfen ist wunderschön. Es wird immer das eigene Haus, in dem andere wohnen. Die Plastizität. Das Eigenwillige. Häuser von mir stehen in den USA, in Solingen, Leichlingen, in Wuppertal steht ein kreisrundes Haus. Das letzte Haus, das ich entwerfen konnte, steht in Haan. Danach wollte niemand mehr ein Haus von mir entworfen haben. Das war aber nicht schlimm, weil ich dann mehr Zeit für die anderen Dinge hatte. Ich war ja nicht beschäftigungslos. Aber ich habe sehr gerne Wohnhäuser gebaut.

Professor Wolfgang Körber, Foto: M. Medam

BDA: Viele Dinge haben sich in Ihrem Leben gefügt, und ein bisschen Glück gehörte auch immer dazu, oder?

Körber: Immer. Sie müssen den Zufall als solchen erkennen, dass etwas auf Sie zugefallen ist. Und Glück auch, viel Glück. Wenn Mist gebaut wurde, wenn etwas nicht so geworden ist, wie ich es mir vorgestellt habe, dann muss die erste Frage an mich sein, was hast du falsch gemacht. Und wenn mir dazu nichts einfällt, dann kann ich erst andern die Schuld geben. Ich nehme mich zurück. Das ist meine Kraftquelle.

BDA: Sie sind jetzt 85. Was treibt Sie an, weiter künstlerisch tätig sein?

Körber: Vor mir bestehen. Ich möchte die Achtung vor mir behalten. Das kann ich nur, indem ich darauf schaue, was mich im Innersten beschäftigt. Das ist alles, mehr nicht. Ich hoffe, ich habe noch ein paar Jährchen. Jetzt kann ich schmunzelnd zurückblicken. Ich bin nicht unzufrieden. Ich möchte bei meiner klaren Linie bleiben, auf mich selbst zu hören. Das, was ich auch den Studenten empfohlen habe.

Das Gespräch führte Monika Medam.