Stefan Meyer, Berlin / Nürnberg

Preisträger BDA Preis Bayern 2019

Einblick Ausblick – Eine Burg für die Bürger

Röttingen

Stefan Meyer, Berlin / Nürnberg

Einblick Ausblick – Eine Burg für die Bürger

Röttingen
Architekt
Schlicht Lamprecht Architekten PartGmbH, Schweinfurt
Bauherr
Stadt Röttingen

Preisträger

BDA Preis Bayern 2019 – Bauen im Bestand / Denkmal

Oberhalb von Röttingen klaffte über Jahrzehnte eine Wunde. Der Ostflügel der vierseitig geschlossenen Anlage Burg Brattenstein war im Jahr 1971 eingestürzt. Das Gebäude wurde als Produktionsstätte für die Textilindustrie genutzt und das Unglück hatte unter den Näherinnen mehrere Opfer gefordert. Als Mitte der 1980er-Jahre mit den Frankenfestspielen neues Leben in den Burghof einzog, wurde anstelle des Ostflügels eine provisorische Holzüberdachung für den Zuschauerbereich errichtet. Irgendwann konnte jedoch auch der findigste Statiker das Provisorium nicht mehr als sichere Konstruktion belegen. Ein Neubau musste her. Zudem war es an der Zeit, eine angemessene bauliche Antwort für die in Mitleidenschaft gezogene Burganlage zu finden.

Der nun fertiggestellte Lückenschluss fügt sich respektvoll und doch selbstbewusst in die bestehende Anlage ein. Statt in der Flucht des Bestandsgebäudes den fehlenden Ostflügel zu ergänzen, wurde eine vom Straßenbereich zurückversetzte Stützwand errichtet und so Raum für eine großzügige Freitreppe geschaffen. Die 35 Meter lange und zehn Meter hohe Mauer bildet eine klare Grenze, wird jedoch zugleich von einer überdimensionalen Loggia durchbohrt. Von den Architekten als «Stadtbalkon» bezeichnet, gibt der eingeschobene Kubus den Blick über die Dächer von Röttingen frei. Zur Hofseite schließt sich ein über die gesamte Länge der Stützwand erstreckender Riegel an, der die Zuschauertribüne aufnimmt. Über ein großes Schiebetürelement können Tribünenbereich und Loggia verbunden oder getrennt werden.

Während die Stützmauer in Anlehnung an das Burggebäude mit wiederverwendeten Muschelkalksteinen verblendet wurde, bleibt bei der Treppenanlage der Beton sichtbar. Zuschauerüberdachung und Loggia sind mit Cortenstahl verkleidet, der noch wenig Rost zeigt und schwarzsilbrig in der Sonne glänzt. Ähnlich einer Ritterrüstung entsteht ein wehrhaftes Erscheinungsbild, das die Massivität von Natursteinmauer und Sichtbeton gut ergänzt. Andererseits wirken die große Öffnung und die Freitreppe einladend. Dieses Spiel zwischen geschlossen und offen machen den Anbau zum vermittelnden Element zwischen Burg und Stadt. Das Projekt fand großen Rückhalt in der Bevölkerung. Dies ist nicht nur der Qualität des Entwurfs zu verdanken, sondern verdeutlicht, dass in Röttingen neben baulichen auch emotionale Wunden zu schließen waren.