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Das Potenzial der Krise. Teil 3: Digital nachhaltig – das neue Paradigma des digitalen Wandels

1. September 2020

Corona wirft ein Schlaglicht auf so vieles, auch auf den Status des Digitalen im Lande: Homeoffice – machtbarer und effizienter als vermutet. Home schooling – eine Riesenbaustelle, weil zu Hause vielerorts die geeigneten Geräte fehlen und die Lehrer ungeübt sind, den Lehrstoff entsprechend aufzubereiten und möglicherweise auch überlastet, denn Millionen Euro des Bundes für die Vor-Corona Initiative „Schulen ans Netz“ wurden auch jetzt noch nicht abgerufen. Auf der anderen Seite sind virtuelle Konferenzen üblich geworden. Das Zahlen mit Karte wird deutlich beliebter, und man denkt vermehrt darüber nach, welche Rolle Roboter in kritische Abteilungen von Krankenhäusern oder in der Altenpflege spielen könnten.

Christof Gemeiner, Vorstand des BDA Bergisch-Land habe ich zu einigen Aspekten des Themas „Digitaler Wandel“ in der Corona-Zeit befragt.

BDA: In Sachen Digitalisierung sind uns einige Länder wie z.B. Estland oder Portugal weit voraus. Woran könnte es liegen, dass wir in Deutschland so zögerlich sind?

Gemeiner: Die Digitalisierung hat ein Imageproblem. Die Wahrnehmung ist diffus und wird vermeintlich bestimmt von Themen wie Handytracking oder Arbeitsplatzvernichtung – und wir misstrauen zu Recht Datenkraken wie Facebook, Google und Co., weil wir zu wenig darüber wissen, wer, was und warum sammelt und für welchen Zweck.

BDA: Welche Rolle spielt deiner Ansicht nach Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) in der Architektur? 

Gemeiner: Wir sollten die enormen Potentiale unserer technisch orientierten Wirtschaft in den Vordergrund rücken und dies auch kommunizieren. Ein Ziel wäre zum Beispiel zu zeigen, wie sich die Qualität in der Architektur durch die Anwendung digitaler Methoden verbessert. Ich denke dabei an elementiertes und klimagerechtes Bauen. Es gilt, die digitalen Möglichkeiten, die wir haben, in die produktiven Prozesse des Bauens besser zu integrieren und weiter voranzutreiben. Das ist unsere Kernstärke als Architekten und Ingenieure und unterscheidet unser Business von dem der Global Player, die sich ausschließlich auf die Vermarktung von Daten beschränken.

KI und Architektur war 2019 ein Thema auf dem Deutschen Architektentag. Für Hannes Mayer zum Beispiel kann KI die Umsetzung von Entwürfen leisten und damit die Art und Weise verändern, wie Architekturen Realität werden. Prof. Dr. Cordula Kropp sieht die Notwendigkeit, dass Architekten entsprechende Kompetenzen entwickeln, um Treiber dieser neuen Technologien zu bleiben und nicht Getriebene zu werden. Andere vertraten die Position, dass ohne Künstliche Intelligenz nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen gar nicht machbar sei. Mit Augmented Reality kann man das (Er-)Leben in einem geplanten Objekt simulieren inklusive Akustik und die Erkenntnisse in den Entwurf integrieren, noch bevor gebaut wird. Building Information Modeling (BIM) geht über 3-D Modeling hinaus und integriert Produktinformationen, Zeit und Kosten und entwickelt ein vollständiges Bild einschließlich Betrieb und Wartung. Weil so auch Ineffizienzen deutlich werden, kann man ein besseres und nachhaltigeres Projekt entwerfen.

Nachhaltig digital: das Gebäude 2226

Das Büro- und Verwaltungsgebäude in Lustenau, Österreich, Firmensitz von Baumschlager Eberle Architekten war schon 2013 der große Wurf im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Langlebigkeit und einer intelligenten, digitalen Regelungstechnik. Es ist ein Gebäude ohne Heizung, Lüftung und Kühlungsanlage, es hält aber konstant eine Temperatur von 22 bis 26 Grad, im Winter wie im Sommer. Die Wärmequellen im Haus sind die Nutzer selbst und alles, was sonst noch Wärme abgibt – Rechner, Licht, Kaffeemaschine etc. Außerdem wird mit dem Einfallswinkel der Sonne gearbeitet.

Eduard Hueber
Eduard Hueber
Gebäude 2226 Fassade
Foto: Eduard Hueber
Foto: Eduard Hueber
Gebäude 2226 Detail Innen

„Sensorisch gesteuerte Lüftungsflügel der Fenster öffnen sich automatisch, sobald der CO2-Anteil oder die Temperatur im Raum steigt. Bei sommerlicher Hitze öffnen sich die Flügel bei Nacht, um das 2226 mit natürlicher Zugluft zu kühlen.“ Damit das funktioniert, hat das Gebäude ein Außenhülle aus „38cm statisches und 38cm isolierendes Ziegelmauerwerk. Die Wände erhielten beidseitig einen glatten Kalkputz, der auf der Außenseite im Laufe der Zeit unter der Sonneneinstrahlung immer härter und schmutzabweisender wird.“  Das Gebäude mit dem Namen 2226 soll „für lange Zeit beispielhaft für neues Denken sein.“ Seine Lebensdauer ist auf 200 Jahre angelegt. (vgl. www.baumschlager-eberle.com)

Das Studio Schwitalla in Berlin, Forschungs- und Designstudio des Architekten Max Schwitalla nutzt schon lange Augmented Reality, um ihre Entwürfe zu überprüfen und erlebbar zu machen. „Wir stellen uns die Stadt als ein Netzwerk von miteinander verbundenen Stadtteilen vor, die als dreidimensionale Strukturen gestaltet werden können, als transformierbare und nachhaltige städtische Umgebungen, die sich auf die menschlichen Bedürfnisse konzentrieren, nicht auf die von Mobilitätsmaschinen.“ Es ist zum Beispiel möglich, mit Datenbrille auf dem Kopf mit dem Fahrrad virtuell durch ein geplanten Gelände zu fahren, um zu überprüfen, ob sich die Wege auch wirklich gut konzipiert sind.

Im Moment boomt das Fahrradfahren und der Individualverkehr punktet gegenüber dem ÖPNV. Stefan Heimlich, der Vorsitzende des Verkehrsclub ACE sagte Anfang August in einem Interview in der WZ, notwendig sei eine intelligente Kombination der verschiedenen Verkehrsträger, weil die Städte weder 100% Autoverkehr noch 100% Rad oder 100% ÖPNV verkraften würden. Über digitale Information müsse man den Verkehr am Stadtrand an Park & Ride Plätzen abfangen und verteilen. Dann braucht man mehr Infrastruktur für das Fahrrad und z.B. Pooling Dienste, die über ein App mitteilen, wo es eine Mitfahrgelegenheit gibt.  Das könnten auch kommerzielle Anbieter sein, aber man bräuchte keine festen Fahrpläne und Haltestellen.

BDA: Smart Cities mit nachhaltiger Verkehrswende sind eigentlich nur digital möglich.

Gemeiner: Eine produktive Digitalisierung bietet eine enorme Dynamik bei der angestrebten Verkehrswende und den damit verbundenen Chancen für neue, qualitätsvolle öffentliche Räume, die nach der Fußgängerperspektive entwickelt werden – weg von der autogerechten Stadt. Durch die Digitalisierung lassen sich E-Bikesharing oder Carsharing gut managen, auch wenn Sharing-Konzepte momentan durch die Coronakrise einen schweren Stand haben. Insgesamt  würde ich mir wünschen, dass die Politik  mehr nachhaltige Energiekonzepte förderte, wie zum Beispiel Smart Grids, also den Aufbau intelligenter Stromnetze, die wiederum Voraussetzung sind für eine massentaugliche E-Mobilität. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Strategien zur Krisenbewältigung nicht auf Abwrackprämien oder Dividende-Subventionierungen für Autokonzerne beschränken.

Der Zukunftsforscher Matthias Horx  sagt, dass die Menschen durch Corona gezwungen wurden, neu zu entscheiden, wie sie in Zukunft leben wollen. Vielen Themen, die dabei eine Rolle spielen, z.B. Ökologie und Nachhaltigkeit haben an Bedeutung enorm gewonnen.

BDA: Verhält sich das beim Thema Digitaler Wandel ähnlich?

Gemeiner: Wir erleben alle momentan, wie durch die Krise die Digitalisierung einen enormen Schub erfährt. Wir sollten dies als Chance begreifen, weil Arbeitsmodelle wie das Homeworking auf einmal für eine breitere Masse möglich werden. Diese Arbeitsform ist zwar nicht für jeden geeignet, aber das Mobile Working bietet zusätzliche Handlungsoptionen und ermöglicht den Unternehmen mehr Flexibilität. Das starre Präsenzmodell in der Arbeitswelt hat sich überlebt zugunsten einer bedarfsgerechten Anwesenheit. Wenn man bewusst damit umgeht, bedeutet dies für alle ein Mehr an Lebens- und Arbeitsplatzqualität. Ein spannender, weil angesichts des Klimawandels nicht nur wünschenswerter, sondern zwingend gebotener Nebeneffekt ist die Reduzierung der Reise- und Transferbewegungen.

Siemens, Telecom, 3M – viele große Unternehmen haben positive Erfahrungen mit Home Office gemacht, dass sie dies in großen Anteilen beibehalten werden. Das hat Konsequenzen – es wird weniger Büroraum benötigt, Parkhäuser und Parkplätze für Mitarbeiter können wegfallen und – es wird wieder interessant, in der Peripherie der Städte nach geeigneten Wohnobjekten zu suchen, weil die unmittelbare Nähe zum Arbeitsort an Bedeutung verliert.  Dann sind gerade für den ländlichen Raum schnelle Datenleitungen (Stichwort: 5G) wichtiger als die Anbindung an die nächste Autobahn.

Wenn man noch einen Schritt weitergeht und über androide Roboter und Singularitäten – das sind Roboter, die sich Dinge beibringen und sich verbessern – nachdenkt, wird deutlich, dass Digitalisierung viel mehr sein wird als technische Routinen, die das Leben vereinfachen und Prozesse beschleunigen. Nathalie Weidenfeld, die sich mit der Darstellung von Robotern und Künstlicher Intelligenz im Film befasst, konstatiert, dass dort unsere Mythen, unsere Ängste, Hoffnungen und Obsessionen widergespiegelt werden. Interessant, dass in vielen Filmen Roboter von willenlosen Techniksklaven zu einer Spezies mit Willen und Seele wechseln, die nichts Geringeres als die Weltherrschaft und die Auslöschung der Menschheit im Sinn hat, eine Vorstellung, die höchstwahrscheinlich mehr über Menschen als über Roboter verrät.

Elon Musk steckt Millionen in sein Projekt Neuralink, bei dem mittels eines Chips im Menschen eine direkte Kommunikation mit der Maschine, der KI möglich ist. Es gibt einige große Projekte im Bereich künstlicher Intelligenz, kommerzieller (Deepmind oder MIRI) und nicht-kommerzieller Natur (Open-AI). Unumstritten sind sie nicht. Als Gegenentwurf zur Silicon Valley Ideologie sollten Roboter äußerlich genau nicht menschenähnlich werden. Denn dann bleiben sie Werkzeuge, physikalisch beschreibbare Apparaturen, denen die Fähigkeit fehlt, „ihre Situation zu überdenken“.
Richard David Precht kritisiert diesen Ansatz allgemein, seiner Ansicht nach werden die falschen Fragen gestellt, man fragt nach Machbarkeit anstelle von Verantwortbarkeit. Der Mensch müsse aufhören, mit dem Transhumanismus zu liebäugeln, stattdessen wieder lernen, Teil der Natur zu sein. Dieser neue Blick sei die Chance gegen Raubbau und Klimawandel.

BDA: Der Paradigmenwechsel hieße dann Verantwortbarkeit anstelle von Machbarkeit.

Gemeiner: Ich glaube schon, dass technischer Fortschritt notwendig ist, aber wir müssen Wege finden, die ausschließlich auf Wachstum und Expansion ausgerichtete Ökonomie zu überwinden.  Ich denke, dass zum Beispiel die junge Ökobewegung uns folgendes aufträgt, nämlich dass es sinnvoller ist, den Planeten, auf dem wir leben in Ordnung zu halten als danach zu streben, Siedlungen auf dem Mars zu bauen, um nach einem vermeintlichen Supergau dort weiter zu existieren. Es ist diese Generation, die nach dem Sinn des Lebens fragt, nach Verantwortung und nach einem Leben im Gleichgewicht strebt, ein Konzept, das die eigene Person betrifft, aber auch die Welt und ihre begrenzten Ressourcen.

Dieser „Wandel in uns“ – auf die Spitze getrieben wird er im Hinblick auf die Pandemie von Markus Gabriel, Professor für Erkennntnistheorie an der Uni Bonn: „„Jeder von uns gibt einen Teil seines Atems, damit niemand den Atem ganz verliert. Das ist eine gute moralische Übung … Wir erleben im Moment die Zeitenwende und müssen alles neu designen. Wir sind in einer hygienisch ausgelösten Revolution angekommen.“ (RP 04.08.2020)

BDA: Wann ist Digitalisierung eine Möglichkeit des Guten?

Gemeiner: Der Philosoph Julian Nida-Rümelin hat den Begriff des „Digitalen Humanismus“ geprägt. Er will damit sagen, dass wir trotz der Digitalisierung die zentrale Botschaft des Humanismus nicht vernachlässigen sollten. Dieser geht von der Idee der menschlichen Autorenschaft und von einer individuellen Autonomie im Leben aus, die die menschliche Würde ausmache und ohne Zweifel eine unserer wichtigsten gesellschaftlichen Errungenschaften darstellt.  Seiner Ansicht nach könne man dieses Selbstverständnis unseres Bewusstseins nicht an Software-Systeme delegieren. Damit hat er aus meiner Sicht Recht. Für mich geht es im Kern grundsätzlich darum, nicht vorbehaltlos die technische Entwicklung hinzunehmen, sondern wachsam zu bleiben und die digitale Evolution konstruktiv – und wenn nötig mit Kritik – zu begleiten.

Die aktuelle Künstliche Intelligenz im Jahr 2020 GPT-3 antwortet auf die Frage, ob KI gefährlich sein kann, so: „Sie könnte gefährlich sein, wenn sie missbraucht wird. Aber sie könnte auch den menschlichen Geist auf neue Höhen bringen. Es könnte nur eine Frage der Zeit sein, bevor jemand herausfindet, wie man mit der Maschine komplexere Dinge anstellt. Diese Erkenntnis könnte den Untergang der Menschheit bedeuten. Die Möglichkeiten sind endlos.“ (Süddeutsche Zeitung, 06.08.2020)

Monika Medam