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Lehrstück Ebertplatz

19. April 2021

Kurzer Prozess und schnelle Lösung? Oder Ideenwettbewerb und Bürgerbeteiligung? Für die Zukunft des zentralen Kölner Ebertplatzes aus den 1970er Jahren schienen die Weichen schon gestellt, als der Rat im März über das Verfahren zu entscheiden hatte. Für die Baukultur waren die Aussichten schlecht. Die Entscheider hatten ihren Tunnelblick darauf gerichtet, einen sozialen Brennpunkt zu beseitigen und wollten die brutalistische Halbunterwelt am liebsten zuschütten.

Der Beschluss für ein Verhandlungsverfahren nach VgV war so gut wie sicher, versprach es doch, zügig auf diese eine Lösung zusteuern zu können. Es kam dann doch anders, und zwar dank des regen bürgerschaftlichen Engagements und der rheinischen Debattenkultur: Der BDA Köln und zahlreiche weitere Stimmen aus Vereinen und Initiativen warben in Offenen Briefen und persönlichen Gesprächen für einen ergebnisoffenen Wettbewerb – mit Erfolg!

© RBA/Stadtkonservator-Archiv. Fotografin: Celia Körber-Leupold, 1978

1977 floss vermutlich noch deutlich weniger Verkehr um die brutalistisch gestaltete Platzarchitektur.

Grüne Insel im Verkehrsstrom

Es geht um einen zentral gelegenen, 8.000 qm großen Kölner Stadtplatz der nördlichen Kölner Ringstraße. Gleichzeitig liegt er auf der historischen Nord-Südachse der Stadt, dem Eigelstein. Von hier ist der Hauptbahnhof in knapp 10 Minuten zu Fuß zu erreichen. In der anderen Richtung liegt das Agnesviertel mit gründerzeitlichem Wohnen, Kölsch-Kneipen und Espressobars. Architekt Kurt Jatho, Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes, schuf 1977 einen autofreien Schutzraum für Passanten, eine unter Straßenniveau abgesenkte Platzfläche, erschlossen über Treppen, Rampen, Tunnel und eine halboffene, unterirdische Passage an der Westseite. Plastisch durchgestaltete Sicht- und Waschbetonflächen mit klaren Kanten prägen das Bild. Die Terrassen über der Passage sind zackenförmig angelegt; am Oberlicht im Tunnel, an den Grüninseln und auch an den Pfeilern sind die polygonalen Formen zu sechseckigen Waben zusammengeführt – die Wabenform als Leitmotiv und „Markenzeichen“ des Ebertplatzes findet sich in allen Maßstäben wieder. Haupt- und Nebenpfade führen über den Platz; mit der sanft gewölbten Topografie, dem baumbepflanzten Rand und einem großen „Wasserfall“ auf der weiten Lichtung präsentiert sich der Ebertplatz als brutalistisch-urban nachgebildete Landschaft. Er ist nach allen Seiten offen, bürgernah und strapazierfähig.

©Helle Habenicht

Die Initiative Unser Ebertplatz zeigt, wie sich Stadtraum durch künstlerische Kreativität beleben lässt. 

Außer Betrieb

Die Unterführung am Ebertplatz war lange Zeit die einzige direkte, fußläufige Verbindung zwischen dem Eigelstein- und dem Agnesviertel und entsprechend stark frequentiert. Rolltreppen rollten auf- und abwärts, Läden in der Passage zogen Publikum an, auf dem Platz standen Bänke, und die Wasserkinetische Plastikdes Metallbildhauers Wolfgang Göddertz sprudelte und floss fröhlich vor sich hin und sorgte für Lärmschutz.

Kommunale Sparmaßen änderten das Bild. Die Brunnenpumpe ging kaputt, die Rolltreppen wurden ihrem Schicksal überlassen, genauso wie die Beleuchtung und die Pflanzbeete. Niemand putzte, pflegte, reparierte mehr, und schließlich hätte man dem ganzen Platz ein Schild umhängen können: „Außer Betrieb.“ Schon in dieser Zeit begannen Künstler den Ort zu erkunden, die Gruppe Kunstraum Labor machte den Anfang im Jahr 2005 und bespielt und belebt mit weiteren Akteuren die Passage noch immer.

Ansonsten gab es kaum noch einen tageslichttauglichen Grund, den Ebertplatz aufzusuchen, es sei denn, man wollte Polizei und Ordnungsamt bei der Arbeit zuschauen. Seit 2006 können Fußgänger und Radfahrer den Ring auf Straßenebene queren, und so wurde es im Untergrund immer unheimlicher. Zwei Todesfälle bei Messerstechereien in der Drogenszene waren der traurige Höhepunkt der Vorfälle. Als Reaktion auf die unschönen Schlagzeilen, auch in überregionalen Medien, die den Platz zum „Unort“ erklärten, wollte die Stadt die Passage kurzerhand zuzumauern. Doch dazu kam es nicht.

Ein Aufbruch, nicht nur für den Ebertplatz

Die Vorstellung eines vermauerten Sperrbereichs mitten im Veedel weckte Widerstand. Menschen aus der Nachbarschaft, Initiativen, Verbänden und Ämtern sowie der Kunst- und Architekturszene schlossen sich zusammen, um in einer Zwischennutzung die baulichen Qualitäten des Platzes in einem „Reallabor“ auszuloten. Sie bauten Holzdecks und stellten eine Container-Bar auf. Im Winter gab es Glühwein an der Eisbahn, im Sommer Apérol im Liegestuhl, während die Kinder im instandgesetzten Brunnen planschten. Und natürlich Lesungen, Konzerte und Kunstaktionen: Die Ladenlokale in der Passage haben junge Galeristen entdeckt, die sich die regulären City-Mieten in zentralen Lagen nicht leisten können oder wollen. Benutzt, geputzt und bespielt zeigten sich wieder die soliden, städtebauliche Qualitäten des Ebertplatzes.

 

© Barbara Schlei

Reallabor Ebertplatz – in der Zwischennutzung zeigten sich seine städtebaulichen Qualitäten. 

© Barbara Schlei

Anwohner haben sich ihn mittlerweile als städtischen Lebensraum zurückerobert. 

 

Über 300 Gruppen beteiligen sich am Projekt „Unser Ebertplatz“, koordiniert und moderiert ämterübergreifend vom Stadtraummanagement im Baudezernat und dem Kulturamt. Es war ein Aufbruch, nicht nur für den Ebertplatz: Die sonst als wenig wendig und eher verhindernd wahrgenommene Kölner Stadtverwaltung erforscht plötzlich in einer bunten Mischung aus Ehrenamtlichen, Fachwelt und allen anderen, die mitmachen wollen, Strategien für den urbanen Raum. Und protestierte so für den Erhalt und die Nutzung der Ebene -1. Internationale Medien berichteten, ausländische Hochschulen reisten an.

Neu bauen oder „upcycling“?

Welche Szenarien gibt es für die Zukunft dieses Platzes? Brutalistische Architektur – zumal im Zustand der Verwahrlosung – ist schwer zu vermitteln. Wo es hässlich ist, das weiß man, da passieren hässliche Dinge. Es gibt viele Stimmen für einen Neubau, doch auch sehr valide Argumente für die Bestandserhaltung. Dabei geht es vor allem um Ressourcenschutz: „Warum muss der Platz abgerissen werden“, fragt Ruth Wennemar vom Bürgerverein Eigelstein, „wenn man mit einem klugen und mutigen Verkehrskonzept und der Umgestaltung der Passage eine gute und nachhaltigere Lösung erzielen könnte?“

Das Kernproblem ist die freudlose Verkehrssituation der „autogerechten Stadt“. Verkehrsräumlich dringend ist deshalb die hindernislose Querung in Nord-Süd-Richtung und eine Anbindung an die Fußgängerzone am Eigelstein. Die Unterführung könnte zur Kunsthalle umgebaut werden, schlagen die Künstler am Ebertplatz vor. Wenn sie in den Tunnel blicken, sehen sie Schönheit im rauen, kraftvollen Beton, die sie auch für andere sichtbar machen wollen. Eine weitere Perspektive nimmt den Ebertplatz als Zeitzeugen einer Epoche wahr, die die Stadt eben nicht nur auto-, sondern auch sozial gerechter machen und Teilhabe ermöglichen wollte. Insgesamt also gibt es viel Potenzial für ein „Upcycling“ des Bestands.

Den gemeinsamen Schwung aus der Interimszeit weiterzutragen in einen städtebaulichen, dialogischen Wettbewerb wäre folgerichtig gewesen. Unter dem Eindruck der tragischen Vorfälle in der Tunnelwelt hatte der Rat 2017 gegen den von der Verwaltung vorgeschlagenen zweistufigen Wettbewerb entschieden und die Vorbereitung eines beschleunigten Verfahrens beauftragt, das nun im März verabschiedet werden sollte.

© Barbara Schlei

Roter Teppich und Perspektivwechsel für den Ebertplatz: Der BDA Köln hat seinen Jahresempfang 2018 der Platzanlage gewidmet. Auf einer Hebebühne, 10 Meter über der Stadt, wechselten die Gäste die Perspektive auf Stadt und Architektur.

Das Ringen um eine gute Lösung

Das breite Engagement für die Baukultur – ausgebremst zugunsten einer vermeintlich schnelleren Lösung, nach einer über 20 Jahre dauernden Debatte? Die Ebertplatz-Aktiven schrieben Stellungnahmen, riefen Politiker an, ließen die Video Plattformen glühen und fanden offene Ohren: Der Rat beschloss einstimmig, dass vor der Ausschreibung ein mehrstufiger Wettbewerb mit Öffentlichkeitsbeteiligung stattfindet.

Reinhard Angelis, Vorstand BDA Köln, freut sich: „Ein großartiger Erfolg für die beteiligten Initiativen und nicht zuletzt für den BDA Köln. Zeigt er doch, wie wichtig und sinnvoll es ist, die Fachkompetenz des BDA in den lokalen politischen Diskussionen deutlich herauszustellen und so als kompetenter Diskurspartner wahrgenommen zu werden. Dies umso mehr, wenn bereits vorgefasste Meinungen zugunsten einer neuen Bewertung der Situation über Bord geworfen werden. Wirklich ein Lehrstück für die Notwendigkeit einer starken regionalen Präsenz des BDA.“

In der Vorqualifizierung wird jetzt die Aufgabenstellung für den Wettbewerb erarbeitet. Die Architektin Susanne Kohte, die sich seit langem für den Ebertplatz engagiert, blickt dem positiv entgegen: „Es bietet sich damit die Chance, nicht mehr nur in zwei gegensätzlichen Varianten zu denken, sondern sich die Frage nach der besten Gestaltung – auch mit einer möglichen Lösung zwischen den Varianten – noch einmal neu zu stellen.“ Alles offen am Ebertplatz.

Ira Scheibe

 

Derzeit ist eine Installation ‚Transit‘ zu bewundern bei der kurze Statements zur Corona-Situation von über 600 Einreichern über ein LED-Laufband flimmern. Die Kunstaktion ist ein gemeinsames Projekt der Stadt Köln mit Veranstalter:innen der Kölner Literaturszene. Einen Beitrag dazu hat die Autorin Nadja Bascheck in der Sendung ‚Lesart‘ auf Deutschlandfunk Kultur zusammengestellt.

Den offenen Brief, den der BDA Köln seinerzeit an Politiker und Verwaltung richtete, lesen Sie hier.