Themen

Technische Beigeordnete der Stadt Haan zeigt sich praxisnah

4. Oktober 2022

Am 20. September trafen sich die Architekten Christof Gemeiner, Jochen Siebel und Christiane Gerold-Tenbuhs mit der Technischen Beigeordneten der Stadt Haan, Christine-Petra Schacht, zum Gespräch, um über ihre Ziele zu sprechen und Ideen auszutauschen. Diskutiert wurden in dem gut einstündigen Gespräch sowohl Themen, die in erster Linie die Stadt Haan betreffen wie das Integrierte Handlungskonzept, der Rathausneubau sowie die Revitalisierung des Bachtals aber auch allgemein gültige Fragen wie die Gestaltung des öffentlichen Raums, Wohnen der Zukunft, Homeoffice und Bürogestaltung, Klimawandel und Mobilität, Fördermittel für Dachbegrünung und Fotovoltaikanlagen sowie Umsetzungsprozesse der neuen Bauordnung aus dem Jahr 2021.

Christine-Petra Schacht ist 57 Jahre alt, seit 27 Jahren verheiratet und hat zwei Söhne. Nach ihrem Schulbesuch in Wuppertal studierte sie an der TU Berlin Landschaftsarchitektur und arbeitete viele Jahre als Büroleiterin in der Bundeshauptstadt für ein renommiertes Architekturbüro für Hochbau. 2017 wechselte sie die Positionen und wurde Leiterin des Grünflächenamtes der Stadt Trier und Ende 2019 Leiterin des neuen Amtes StadtRaumTrier, in dem Grünflächenamt, Straßenreinigung und Tiefbauamt zusammen wurden. Seit dem 1. Oktober 2021 ist sie Technische Beigeordnete der Stadt Haan.

 

Christof Gemeiner (CG): In der Haaner Innenstadt konnten sich die Bürger kürzlich über Klimaschutz informieren. Gezeigt wurde auch eine visionäre Luftaufnahme von Haan im Jahr 2050 mit einem intensiv begrünten Neuen Markt, Grünflächen auf Gebäuden und Dachterrassen sowie Fassadenbegrünung. Gerade ist wieder Haaner Kirmes, die ja ein bestimmendes Element bei der Stadtplanung ist. Wie lässt sich der Neue Markt gestalten, ohne den Kirmesfans zu sehr auf die Füße zu treten?

Christine-Petra Schacht (CPS): Die Kirmes bestimmt nicht nur die Gestaltung des Neuen Marktes, sondern der gesamten Haaner Innenstadt. Ich wurde in der Presse fälschlicherweise zitiert, ich wolle die Haaner Kirmes abschaffen. Das stimmt so natürlich nicht. Ich weiß, wie wichtig die Kirmes für Haan ist. Aber man muss natürlich darüber diskutieren, welche Änderungen möglich sind. Wir können den Neuen Markt nicht nur für fünf Tage Kirmes im Jahr planen. Es geht darum, in der Innenstadt auch für die anderen 360 Tage eine Aufenthaltsqualität zu schaffen.

Jochen Siebel (JS): Es ist durchaus legitim, dass man sich solche Fragestellungen immer wieder stellt. Wir leben in so schnellen Prozessen. Da muss man auch die nachfolgenden Generationen im Blick behalten. In Haan wird ja auch die Gestaltung des Straßenraums zumindest an den Hauptverkehrsstraßen diskutiert. Wir waren gerade in Oslo und haben gesehen, ohne Straßenraum zurückzubauen, bekommen wir nicht mehr Fläche für Fußgänger, Fahrräder und Grünflächen. Und all das wollen wir ja haben. Wenn es um Entscheidungsprozesse geht, werden die in Städten unserer Größenordnung oft nicht durchgezogen. Großstädte sind da viel weiter. Die nehmen das konzentriert und fokussiert in ihre Planungsprozesse.

Christiane Gerold-Tenbuhs (CGT): Da sind wir genau bei dem Thema, was passiert mit dem öffentlichen Raum, wenn die ursprüngliche Infrastruktur mit Geschäften oder Wohnungen nicht mehr funktioniert. Das liegt nicht nur an der vorhandenen oder ehemaligen Nutzung, sondern auch daran wie etwas angebunden ist. Ein Blick auf die Solinger Innenstadt zeigt, da wo mal eine lebendige Fußgängerzone war, ist jetzt eine Einöde. Die Innenstadt wirkt verwahrlost. Dort passiert nichts, und es stirbt alles drumherum ab. In einigen Städten sieht man ganz gut, wenn man den öffentlichen Raum belebt, wird auch die Peripherie wieder revitalisiert. Es ist sehr individuell, wie man das in den jeweiligen Kommunen anpacken muss.

(CPS): Wir haben einen regelrechten Verteilungskampf im öffentlichen Raum, wem gehört der? Wir wollen die Mobilitätswende, aber dazu gehört auch die Frage, wie dieser Verteilungskampf geführt werden muss. Wird ein Fahrradstreifen eingerichtet oder Platz für alternative Nutzungen geschaffen, dann kann da kein Stellplatz hin. In Haan diskutieren wir gerade viel über die K5, eine unserer Verbindungsstraßen nach Solingen. Es gab eine Bürgerbeteiligung, bei der Ideen eingebracht werden konnten. Aber wenn der Raum begrenzt ist, ist natürlich nicht für alles Platz. Politik, Bürger undBürgerinnen stehen vor der Frage: Will man die Mobilitätswende und ist man auch bereit, diesen Weg konsequent zu gehen?

(JS): Wir brauchen auch den gesellschaftlichen Wandel dabei. Der Blick nach Holland zeigt, da gibt es Straßen mit PKW-Verkehr, Fußgängerverkehr und Radverkehr. Vor den Geschäften stehen auch noch Stühlchen und Ständer. Das funktioniert ganz gut, weil es Rücksichtnahme und Miteinander gibt. Das fehlt bei uns, da muss sich die Gesellschaft erst einmal wieder hin entwickeln. Und ich glaube, dass die jüngere Generation da auch drückt und pusht, damit es in diese Richtung geht.

(CG): Der öffentliche Raum, die Innenstädte haben überhaupt nur eine Chance durch eine Verbesserung der Aufenthaltsqualitäten. Stichwort: Wenn ich in die Stadt fahre, dann möchte ich etwas erleben, dann möchte ich mich gut fühlen. Das bekomme ich nicht hin, wenn die Innenstädte für den Autoverkehr frei gegeben werden. In Brügge und Maastricht sind die Innenstädte komplett autofrei. In diesen Städten gibt es den politischen Willen, sich zu verändern.

(CPS): In Haan ist die Verknüpfung Mobilität und Auto sehr stark. Einigen Bürgern sind die Straßen teilweise nicht breit genug. Es gehört auch zu meinen Aufgaben dafür zu sorgen, dass Konzepte entwickelt werden, die für alle funktionieren.

(CG): Es liegt auch an der Topografie. Mit der E-Mobilität sehe ich eine Chance, dass sich da etwas ändern könnte.

(JS): Das kann ich bestätigen. Ich bringe meine Tochter morgens mit dem Rad in die Kita. Ich muss auch Umwege fahren, weil ich an der Hauptstraße nicht entlang fahren kann. Es kommen immer mehr Kinder selber mit dem Fahrrad, oder im Hänger. Der Bedarf ist da.

(CGT): Leider ist die erforderliche Sicherheit nicht immer gewährleistet. Und weil immer mehr Menschen mit dem Rad oder E-Bike unterwegs sind und auch die Anzahl der PKW steigt, wird es immer kritischer im Straßenverkehr. Es gibt so viele Gefahrenquellen. Ich brauche fünf Minuten von mir zu Hause bis zu meinem Büro und denke manchmal, ‚Gott sei Dank, jetzt bist du wieder heil da‘. Aber wie packt man das tatsächlich an? Der Platz ist begrenzt.

(CPS): Ich habe ja viele Jahre in Berlin gelebt und gearbeitet und bin da immer mit dem Rad gefahren. Da wurde dann auf einer zweispurigen Hauptstraße ein Fahrstreifen für Radfahrer frei gegeben. Am Anfang gab es die Befürchtung, es bricht alles zusammen. Es ist aber nichts zusammen gebrochen. Es hat funktioniert. Mittlerweile gibt es entsprechende Ampelsysteme in Berlin, der Radverkehr ist fast gleichberechtigt unterwegs. Dazu gibt es auch noch einen sehr guten ÖPNV. Das haben wir hier in Haan alles nicht. Deshalb braucht man einfach klare Ideen als Stadt, wo man hin möchte. Das sind gerade in Haan ganz gravierende Diskussionen, die noch geführt werden müssen. Wir brauchen eine überlebensfähige Stadt der Zukunft. Auch wenn wir so einen Platz wie den Neuen Markt gestalten.

(CG): Können Sie etwas zum Integrierten Handlungskonzept sagen?

(CPS): Über das Integrierte Handlungskonzept haben wir zehn Millionen Euro Förderung für die Neugestaltung der Innenstadt bekommen. Dafür kann man nicht nur den Belag auf dem Neuen Markt austauschen, sondern muss auch die Aufenthaltsqualität erhöhen. Ich gehe auch davon aus, dass es in Zukunft gar keine Fördermittel mehr geben wird, wenn nicht Klimawandel,Wassermanagement, Schwammstadt und Ähnliches in den Konzepten berücksichtigt werden. Im Integrierten Klimaschutzkonzept, das wir gerade beschließen sind 29 Maßnahmen, darunter auch solche zur Mobilität aufgeführt. Aber auch Anpassung des Gebäudebestands, Stichwort energetische Ertüchtigung spielt eine Rolle. Zunächst haben wir uns auf Maßnahmen konzentriert, die wir relativ unabhängig von anderen Entscheidern als kreisangehörige Stadt auf den Weg bringen können. Ergänzend haben wir Maßnahmen gewählt, bei denen wir auch Vorbildfunktion zeigen können, wie Energieversorgung von Gebäuden und energetische Ertüchtigung, die Festlegung von Standards für die Gebäude der Zukunft und Leitlinien für die Gestaltung von Freianlagen.

(CG): Thema alternative Energien. Wir erleben immer wieder, dass uns Bauherrn fragen, ob sie aus den Städten Fördermittel bekommen. Es zeigt sich, dass die Bürger bereit sind, etwas zu tun, wenn sie finanziell unterstützt werden.

(CPS): Relativ neu in Haan gibt es Fördermittel für Dachbegrünung und auch zukünftig als IKK-Maßnahme auch für steckerfähige Photovoltaik-Anlagen. Wir wollten bewusst niedrigschwellige Angebote schaffen, um auch Mietern die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen. Vom Kreis gab es ein vergelcihbares Förderprogramm, da waren 50.000 Euro innerhalb von 15 Minuten vergeben. In Haan wollen wir das anders zu gestalten.

(CG):Wo genau kann man sich da informieren?

(CPS): Auf der Homepage der Stadt.

(JS): Gilt das nur für Bestandsgebäude? Oder auch im Neubau?

(CPS): Für beide Gebäudearten. Es gibt für die Dachbegrünung einen Einmalbetrag von 50 Euro pro Quadratmeter und absolut 3000 Euro pro Fläche. Es geht darum, kleinere Maßnahmen wie die Dachbegrünung für eine Garage aber auch für ein Müllhäuschen zu unterstützen. Ich würde das gerne auf das Thema Fassadenbegrünung erweitern, die im Zuge des Klimawandels für das Mikroklima einen sehr viel höheren Mehrwert hat. Am besten ist natürlich die Umsetzung von beidem. Und natürlich brauchen wir Bäume, Bäume, Bäume. Viel Blattmasse. Keine kleinen Alibibäumchen sondern wirklich Bäume, die Auswirkungen auf das Mikroklima haben.

(JS): Der Verlust an großen Bäumen ist immens. Diese Auswirkungen der letzten drei trockenen Sommer werden wir in den nächsten zwei Jahren spüren. Es wurden viele Bäume in Haan gefällt, bei denen man festgestellt hat, die werden umkippen. Inzwischen züchtet man Pflanzen ja auch anders, damit sie Trockenzeiten besser überstehen. Die Wurzeln sollen lernen, besser in die Tiefe zu wachsen.

(CPS): Das wird ein großes Thema für die Zukunft. Wenn wir in städtischen Strukturen denken, stehen wir vor der Frage, wie richten wir Baumquartiere so her, dass Bäume wieder 80oder auch 100 Jahre alt werden und ihre Ökosystemdienstleistungen optimal erbringen können. Dass sie auch trockene Sommer ohne ergänzende Bewässerung überleben. Bewässerung ist kostspielig und somit ein Wirtschaftsfaktor, zudem wird Wasser als natürliche Ressource knapper. Auf dem Schulhof des Gymnasiums haben wir Extrembedingungen wie Hitze und Windkorridore und anstehender Fels. Wir werden zur aktiven Verschattung große, mehrstämmige solitäre Bäume pflanzen, Baumarten von der „Düsseldorfer Liste der Zukunftsbaumarten“, die mit den Extrembedingungen klar kommen. Entscheidend für das gute Funktionieren eines Baumes ist übrigens nicht die oberirdisch sichtbare offene Baumscheibe, sondern die Größe uns Qualität des Quartiers darunter. Wir haben in Trier mit 20 Kubikmetern geplant, dass sollte auch in Haan ein Ziel für den innerstädtischen Raum sein. Optimal sind offene großzügige Baumscheiben mit einer krautigen Staudengesellschaft.

(CG): Neues Thema: Wohnen. In Hilden gibt es noch einen extrem hohen Zuzug in die Innenstadt. Ist das in Haan auch so?

(CPS): Haan ist sehr stark nachgefragt auch als Vorwohnstadt von Düsseldorf. In der Großstadt arbeiten, im Grünen wohnen. In Haan haben wir das große Problem, dass wir zu wenig bezahlbaren Wohnraum haben. Gerade für junge Leute, die von zu Hause ausziehen oder für junge Paare mit Kind. Wir haben eine Arbeitsgemeinschaft mit der Politik, in der wir uns unterschiedliche Modelle anschauen, auch jenseits des sozial geförderten Wohnungsbau. Leider verfügt die Stadt Haan nicht über sehr viel kommunale Bodenflächen. Dazu kommt, in Haan werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren rund 80 Prozent der Wohnungen des preisgebundenen Wohnungsbaus aus der Bindung gehen. Es wird eine große Herausforderung, diesen Bedarf aufzufangen.

(CGT): Wie sieht es mit Nachverdichtung aus?

(CPS): Wir haben viele Flächen in Haan, die sehr großzügig bebaut sind. Es muss vielleicht nicht immer der neu versiegelte Acker sein, auf den man ein Einfamilienhaus oder eine Reihenhaussiedlung setzt. Wir stehen vor der Frage, muss man Wohnen nicht auch ganz anders denken, wenn Boden so ein knappes Gut ist? Wie sieht das Wohnen der Zukunft aus? Ist das noch das Einfamilienreihenhaus mit einem kleinen Garten?

(JS): Es gab mal Entwicklungen rund um Nordstraße, Hühnerbach, Memeler Straße, dem sozialen Wohnungsbau aus den 1960er Jahren. Da gibt es Potenzial für Nachverdichtungsflächen. Vor etwa zehn Jahren gab es mal Überlegungen zur Nachverdichtung, die aber damals nicht umgesetzt wurden. Solche Flächen werden sicher wieder in Frage gestellt. In Solingen ist es übrigens viel einfacher mit der Nachverdichtung. Da haben wir beispielsweise neue Nutzungen für Hinterhöfe entwickelt.

(CPS): Ich denke auch in Richtung Aufstockung. In der Haaner Innenstadt gibt es eingeschossige Gebäude, die Potenzial bieten. Auch Dachgeschosse könnten verstärkt ausgebaut werden. Außerdem stellt sich die Frage, wenn wir anders arbeiten, brauchen wir dann noch so viele Büroräume? Oder haben wir da Ressourcen, die wir für etwas Anderes nutzen können?

(CGT): Ich finde auch das Umdenken innerhalb der Familie nicht verkehrt. Aus großen Einfamilienhäusern könnte mit diversen Änderungs- und Umbaumaßnahmen ein Mehrgenerationenhaus werden. Das haben wir auch schon ein paar mal gemacht.

(CPS): Ja, Wohnen mal anders denken. Ich finde diese Ansätze wirklich gut. Das kann sich durchaus auch eine kleinere Stadt trauen. In Hilden gibt es jetzt zum Beispiel die Klimaschutzsiedlung.

(CG): Die Umsetzung hat zehn Jahre gedauert. Ich fahre sehr gerne dran vorbei, die Siedlung hat so eine tolle Ausstrahlung.

(JS): Da war einer in der Bauherrengemeinschaft, der das Zepter in der Hand hatte und den Biss, das über mehrere Jahre durch zu ziehen.

(CG): Stichwort leerstehende Ladenlokale oder Büroflächen.

(JS): In der Haaner Innenstadt gibt es Flächen, die leer stehen. Oft haben die Wohnungen keine Aufzüge. Wir haben mit der Stadt gesprochen haben, mit der Bitte, Aufzüge nach vorne in den Marktbereich bauen zu bauen, weil das treppenhausmäßig nicht anders anzubinden war. Das hat die Stadt abgelehnt mit der Begründung, wenn wir das einmal zulassen, dann dürfen die anderen das auch.

(CPS): Wir müssen uns als Stadt entscheiden, was für uns Priorität hat. Wenn es die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist, dann sollte auch mal anders, unkonventionell und lösungsorientiert gedacht werden, unter Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften.

(JS): Die Jugendlichen brauchen auch mehr Aufenthaltsqualität in der Stadt. Wir haben eine super Situation am Alter Markt. Schöne gepflasterte Fläche mit dem Brunnen, da gehen alle Generationen hin. Es gibt schon Plätze die funktionieren, aber viel zu wenige. Da ist es kein Wunder, wenn Jugendliche auf Spielplätzen hängen oder am Schillerpark und da Pizzakartons rumschmeißen oder Kippen.

(CPS): Jugendliche brauchen Flächen, wo sie sich auch mal daneben benehmen dürfen. An der Landstraße gibt es die alte Skateranlage mit Bolzplatz, Basketballplatz, einer dirt-bike-lane, Fitnessgeräten und einem Grillplatz. Die Anlage an sich super und liegt auch günstig. Allerdings ist sie in einem ausgesprochen schlechten Zustand. Da ist leider in den letzten 30, 40 Jahren kein Penny investiert worden. In der Stadt Haan sind die Schulhöfe öffentlich zugänglich, auch außerhalb der Schulzeiten. Dies führt natürlich auch immer zu Konflikten mit Anwohnenden, gerade in den Abendstunden. Aktuell wird das Haaner Bachtal als Aufenthaltsfläche für viele Generationen revitalisiert. Selbstverständlich muss man dann die gemeinsame Nutzung der Räume lernen. Da muss ein älterer Herr vielleicht auch mal über Jugendliche meckern und andersrum genauso. Das sind notwendige Abgleichungsprozesse, die in einer Stadtgesellschaft stattfinden müssen. Toleranz, wertschätzender Umgang und Perspektivwechsel gehören unbedingt dazu.

(CG): Wie sieht es mit dem Rathausneubau aus? Das soll ja zukunftsmäßig gestaltet werden.

(CPS): Ja genau. Zunächst gab es ein Konzept, das auf auf Einzel- und Doppelbüros ausgerichtet war. Nach den Erfahrungen mit Home Office in Zusammenhang mit Corona haben wir beschlossen, nicht nur von A nach B umzuziehen, sondern den Umzug zu nutzen, um uns auch neu als moderner Dienstleister zu präsentieren. Das Rathaus wird zentral am unteren Neuen Markt platziert. Insofern kann das kein Ort sein, wo nur von 7 bis 17 Uhr gearbeitet wird, und dann ist das gesamte Gebäude dunkel. Wir brauchen Nutzungen, die über die reine Verwaltungstätigkeit hinaus gehen, um Identität zu stiften. Geplant ist die Gliederung in öffentliche, halb-öffentliche und interne Bereiche: Das Erdgeschoss als öffentlicher Begegnungsraum mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten, die oberen drei Etagen für die Verwaltung. Die Idee ist, dass wir ein modulares Raumsystem als Grundlage nehmen, in denen wir alle Belange abbilden können. Es wird Dezernate geben, wie das Baudezernat, die relativ offen gestaltet sein werden. andere noch in traditionelleren Strukturen, die aber für zukünftige Generationen unkompliziert in neue Arbeitsformen umgeswitcht werden können. Die Bereiche, die datenschutzrelevant sind, ordnen wir entsprechend an. Junge Mitarbeitende zeigen sich tendenziell aufgeschlossener für neue Arbeitswelten, aber selbstverständlich müssen alle Mitarbeitenden einen Platz für ihre Bedürfnisse finden. Die richtige Frage ist nicht die Frage nach dem Einzelbüro, sondern die Frage nach einem berechtigen Arbeitsplatzbedürfnis, zum Beispiel nach Ruhe oder nach Datenschutz, jenseits der persönlichen Befindlichkeiten und Vorlieben, sondern in der Rolle des Verwaltungsmitarbeitenden, der bestimmte Aufgaben erledigen muss. Diese Diskussion zu führen, ist in einer Verwaltung ein spannender und aufreibender Prozess.

(JS): Das ist auch in der Privatwirtschaft so. Wir begleiten oft Firmen, die ihre Standorte verlegen und auch eine neue Unternehmenskultur in ihren neuen Gebäuden haben möchte. Als Architekten versuchen wir, da eine Lösung zu finden. Als Gesellschafter oder Geschäftsführer eines Unternehmens hat man natürlich andere Möglichkeiten als in der Verwaltung. Aber der Rathausneubau ist eine Riesenchance für Haan, ein komplett anderes Bild zu erzeugen.

(CPS): Wir haben für das neue Rathaus eine 1A-Lage mit der Verbindung zu Schillerpark und Windhövel. Da können wir kein Null-Acht-Fünfzehn-Gebäude hinsetzen. Da gehört ein Gebäude mit Strahlkraft und Nutzen für die Stadtgesellschaft hin.

Bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen merke ich, dass die Work-Life-Balance immer wichtiger wird. Wenn das Vertrauen da ist, ist es für ich als Führungskraft unerheblich, wo die Arbeit gemacht wird, Hauptsache sie wird gemacht. Das ist ein kompletter Wandel für das Verwaltungsdenken. Corona und die Nutzung der neuen Technik haben da sehr viel verändert. Manchmal ist sogar eine Videokonferenz sinnvoller, weil Wegezeiten wegfallen und man die Beteiligten schneller zusammen organisieren kann. Aber natürlich ist es schön und wichtig, sich auch vor Ort zu sehen.

(JS): Der Wandel lässt sich einfacher mit jüngeren Mitarbeitern vollziehen. Die sind es schon aus der Ausbildung gewohnt, mit dem Laptop mobil zu arbeiten.

(CPS): Wenn die Mitarbeitenden im Homeoffice oder mobil arbeiten wollen, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir die Arbeitsräume, die wir haben, so effizient wie möglich ausnutzen müssen. Eine Halbtagskraft, die drei Tage im Homeoffice arbeitet, kann zukünftig kein Büro für sich allein haben. Das geht einfach nicht. Der Raum ist endlich und muss wirtschaftlich und ressourcensparend genutzt werden. Da ist Flexibilität von beiden Seiten – Arbeitgeberin und Beschäftigte – erforderlich.

(JS): Das ist bei uns auch so. Wer Homeoffice machen möchte, der kann das machen, hat aber kein Recht mehr auf seinen eigenen Arbeitsplatz. Das läuft dann im Sharing-Modell.

(CPS): Wir hatten im Zuge des Integrierten Handlungskonzeptes in der Sparkasse ein Innenstadt Büro. Aufgrund von Corona wurde leider nicht die Sichtbarkeit erzeugt, die wir gewünscht hatten. Wir wollen dieses Büro aber gerne behalten, um das, was wir später für das Rathaus planen, da schon mal vorzuleben. Also einen Begegnungsort zu haben, wo wir ins Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern kommen können, wo Experten und Expertinnen aus der Verwaltung sitzen, wo wir die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger abholen können, wo wir uns mit unseren Ideen und Konzepten präsentieren können. Der Ort soll einen eher informellen Charakter – wie eine Longe – haben.

(JS): Kann man da auch Serviceleistungen abrufen? Oder bekommt man da Beratungen?

(CPS): Ja genau, Themen wie Abfallberatung, Beratungen zu Klimaschutz und Photovoltaik, StadtGrün und -planung, aber auch Themen aus anderen Dezernaten. Leider haben wir – wie alle – einen Fachkräftemangel. Das ist bei den Panungsbüros auch nicht anders und kein Verwaltungsproblem. Selbstverständlich hat dies Auswirkungen auf den Bürgerservice und die Umsetzung der Projekte. Wir haben so viele Ideen und viel zu wenig Ressourcen, alle Projekte, die wünschenswert wären, neben dem Alltagsgeschäft der Verwaltung auf den Weg zu bringen.

(JS): Ja, das Problem haben wir in allen Städten. Dazu kommen die langen Genehmigungs- und Abstimmungsprozesse. Die Vorabstimmungen finden so nicht mehr statt, wie es früher war aufgrund der Unsicherheit durch die Rechtsprechung. Es besteht die Angst, sich in der Vorabstimmung festzulegen, weil möglicherweise doch in irgendeinem Gutachten oder einer Gegenstellungnahme Gegenwind kommt oder kommen könnte.

(CPS): Ich muss entscheiden aufgrund der aktuellen Rechtsgrundlage. Wenn es noch keine Rechtsprechung zu der Auslegung der Bauordnung, die letztes Jahr novelliert wurde, gibt, besteht große Unsicherheit. Man kann aber nicht alles so lange aussitzen, bis die passende Rechtsprechung existiert. Selbstbewusst muss der Mitarbeitende sagen können, das ist die Argumentation, die zur Betrachtungszeit schlüssig war. Stellt sich dies durch eine folgende Rechtsprechung anders dar, dann ist es eben so.

(JS): Ich nehme mal als Beispiel Abstandsflächen 04. Da gehen einige Städte hin und sagen, ab 16 Metern wird 08 berechnet und andere Städte tun das nicht. Oder Unsicherheiten in den Abbruchs-Genehmigungsverfahren. Da sind sich die Sachbearbeiter teilweise untereinander nicht einig. Es werden so komplizierte Sachverhalte ungeprüft in Gesetze gebügelt, so dass alle unsicher sind. Deswegen ist es auch so schwierig miteinander zu sprechen und sich vor abzustimmen. Nicht weil die Mitarbeiter keine Lust haben. Da sitzt die Angst im Nacken, eine falsche Entscheidung zu treffen.

(CGT): In der Bauordnung sind wichtige Punkte nicht ordnungsgemäß definiert worden. Es klaffen endlose Lücken. Das führt natürlich auf allen Seiten zu Unsicherheit. Man kann als Architekt ja auch nicht jedes aktuelle Tagesgerichtsurteil kennen.

(JS): Wir bekommen noch ein neues Thema. Die Wasserwirtschaft wird in Bebauungsplänen in Zukunft noch ganz anders betrachtet werden müssen. Das müssen Gutachten gemacht werden, Notabflusspläne und, und, und.

(CPS): Ja es wird für alle Seiten immer komplexer. Deshalb dauern sämtliche Umsetzungsprozesse noch länger. Die Sachverhalte werden komplexer mit zu wenig Ressourcen auf allen Seiten.

(CGT): Manchmal dauert es ein halbes Jahr, bis man überhaupt eine Eingangsbestätigung bekommt – das trifft nicht auf Haan zu – da fehlt einem dann doch das Verständnis. Wir Architekten sitzen dann zwischen den Stühlen. Der Bauherr sagt, wir haben doch eine Finanzierung hinbekommen, jetzt müssen wir auch mal loslegen. Das ist schwer zu vermitteln.

(JS): In Monheim kann man den Bauantrag schon digital einreichen. In Haan ist man dabei, es vorzubereiten.

(CPS): Einige Kommunen, vor allem Großstädte und Metropolen, haben sich da schon vor Jahren aufgemacht, die Belange des Online-Zugang-Gesetz auf den Weg zu bringen. Kleinere Städte sind da häufiger mit ein bisschen Verzug auf dem Weg, da zu wenig Ressourcen verfügbar gemacht werden können. Bis Ende des Jahres müssen wir auch in Haan so weit sein. Mein Vorteil ist, dass ich beide Seiten kenne, die Verwaltungs-, aber auch die Sichtweise aus der freien Wirtschaft.

(CG): Das merkt man ganz deutlich, dass Sie die freie Wirtschaft kennen. Das sollte es öfter geben, die wechselnden Horizonte.

(CPS): Wichtig ist das Verständnis füreinander. Letztendlich wollen ja alle Seite das gleiche. Man will voran kommen, man will Projekte umsetzen. Man will Mehrwert für den Auftraggeber oder die Stadt generieren. Es gibt auch nicht den bösen Investor. Auch ein Investor muss  von irgendetwas leben. Es muss eine Win-Win Situation für beide Seiten werden. Wichtig in meiner Position ist es, das Gesamtinteresse der Stadt und nicht das Partikularinteresse des Einzelnen im Fokus zu haben.