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Häuser für Städte, Räume für Menschen. Arno Lederer 1947–2023

26. Januar 2023

Gabriela Neeb
Gabriela Neeb

Arno Lederer zählt zu den seltenen Protagonisten seiner Generation, denen die Intuition etwas gilt. Sie entsteht bei diesem, 1947 in Stuttgart geborenen Architekten, aus einem schier unendlich erscheinenden Fundus von kulturellem Wissen und einer gehörigen Portion persönlicher Prägungen. Auf seinem Schulweg, so schildert Lederer es einmal im Gespräch, habe es einen provisorischen Wiederaufbau gegeben, „eingeschossig, mit Wellasbest gemacht, mit großen Schaufenstern.“ Dieses Bauwerk erschien ihm damals „schlichtweg als eines der schönsten, die man sich denken kann.“ Der Schulweg führte ihn durch die gründerzeitliche Vorstadt, wo ihn die dunklen Ziegelbauten ängstigten, „vor allem, wenn es dunkel war.“ Beides wird noch wichtig werden.

Zwischen 1968 und 1976 studiert Lederer in Stuttgart Architektur. In Folge der Studierendenbewegungen und Umwälzungen der 68er dominierten gesellschaftliche Fragen das Studium, Lederer zieht in Erwägung, die eigenen haptischen Wünsche im Geigenbau auszuleben und probiert sich in der Denkmalpflege aus. Das „Bauen-Wollen“ aber ist stärker, sodass er das Studium abschließt und anschließend bei Ernst Gisel in Zürich das erlernt, was ihm an der Hochschule fehlte: geerdet und „aus einem moralischen Verständnis heraus Architektur“ so gut zu machen, „wie sie nur sein kann.“ Eine kurze Zeit von nur etwas mehr als einem Jahr, für Lederer dennoch prägend. Nach einer Mitarbeit im Büro Berger Hauser Oed in Tübingen gründet er 1979 schließlich das eigene Architekturbüro in Stuttgart. Ab 1985 führt er es gemeinsam mit seiner Frau Jórunn Ragnarsdóttir, die ebenfalls in Stuttgart Architektur studierte und mit dem Diplom 1982 begann, im Büro Lederer zu mitzuarbeiten. Durch sie, so Arno Lederer später, habe sich seine „Haltung zur Architektur und speziell zum Wohnen an sich verändert.“

Allzuoft wird die Arbeit des Büros, das die beiden ab 1992 gemeinsam mit Marc Oei führen, auf öffentliche Bauten reduziert. Und in der Tat entsteht im Laufe der Jahre eine Vielzahl schöner Museen, Theater, Schulen, Banken und Kindergärten. Die aus den eigenen Erfahrungen und dem Wissen um Farbe, Material und Fügung gespeiste Fähigkeit, Räume zum Wohnen an sich, also für jegliche menschliche Tätigkeit zu entwickeln, lässt sich im Besonderen jedoch an den Wohnbauten ablesen, die Arno Lederer und Jórunn Ragnarsdóttir gemeinsam entwickeln. Schon bei den ersten Wohnhäusern, etwa Haus Wullen in Gerlingen (1976) und Haus Mercy in Stuttgart (1986) wird das deutlich. Feine Raumfolgen sind das, in denen der Raum entworfen wird als logische Konsequenz aus Form, Material und Konstruktion. Ihnen, wie der für die Bürogründung entscheidenden Bebauung der Stadtmitte Fellbach, die nach dem Wettbewerbsgewinn 1979 bis 1987 realisiert wird, sieht man sowohl die Vorbilder Alvar Aalto und Ernst Gisel an, als auch die frühkindlich geprägte Skepsis gegenüber dem später immer wichtiger werdenden Material Ziegel.

Diesem Baustoff widmet Lederer im Laufe der Jahre mehrere Texte. Seine mannigfaltigen Färbungen, die Art, wie er altert, wie er gefügt wird und wie mit ihm Gefügtes immer wieder aufs Neue ausgebessert werden kann, begeistert den Architekten. In vielen, mit Preisen dekorierten, teils großmaßstäblichen Bauten bringt das Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei es zu wahrer Meisterschaft in der Beherrschung und Verwendung von Ziegel. Dabei werden nicht nur weitere skandinavische Einflüsse von Sigurd Lewerentz und Peter Celsing deutlich, sondern auch klar, was Lederer grundsätzlich umtreibt: das Ausdeuten und Beschreiten eines „dritten Weges“ jenseits architektonischer Moderne auf der einen oder Rekonstruktion auf der anderen Seite. Die Anschlussfähigkeit an historische und erlernte Formen, Materialien und Atmosphären ist Arno Lederer ebenso wichtig, wie das Zeitgemäße in der Architektur zum Ausdruck zu bringen. Um die Stadt geht es Arno Lederer und Jórunn Ragnarsdóttir, um die Menschen, die in ihr leben, und für die die Häuser etwas leisten, für deren Vergesellschaftung sie einen Mehrwert anbieten müssen.

Für diese Haltung streitet der Architekt sowohl als Mitglied zahlloser Jurys und Preisverfahren als auch als Hochschullehrer. Von 1985 an der Fachhochschule für Technik in Stuttgart, ab 1990 an der Universität Karlsruhe und schließlich von 2005 bis 2014 an der Universität Stuttgart. Er prägt damit die gebaute Umwelt in unserem Land ganz unmittelbar und überdies mittelbar durch die Vielzahl ehemaliger Mitarbeitender und Studierender. Dabei vertritt Lederer seine Haltung ebenso fundiert wie leidenschaftlich, geht auch Streitereien nicht aus dem Weg, bleibt dabei jedoch stets fair und an der Sache interessiert.

Amber Sayah erinnert im Vorwort des erst kürzlich erschienenen, kleinen und feinen Lesebüchleins „Drinnen ist anders als Draußen“, das Texte des Architekten versammelt, dass bei Lederer Schiller ebenso zitierfähig war wie Leo Leoni‘s Maus Frederick, die ihren Mitmäusen die kalten Winterabende mit Geschichten von Farbe, Wärme und Sonne erträglich macht. An einem dieser kalten Wintertage nun ist Arno Lederer am 21. Januar nach kurzer, schwerer Krankheit in Stuttgart gestorben. Dabei sollte – nach Überschreibung der Anteile des Büros LRO in Stuttgart – mit Frau Jórunn und Sohn Sölvi in Berlin gerade ein neues Kapitel aufgeschlagen werden. Was bleibt, sind die Häuser, die er seit 1976 gebaut hat, die im Dienste der Stadt und ihrer Menschen stehen und deren Räume von genau dieser mitfühlenden Wärme sprechen.

David Kasparek

aus: Die Architekt 1/2023