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GLÜCKSFALL AN DER PADER

4. April 2023

 

„Ein wohlgeratenes Bauwerk hat immer einen ambitionierten Bauherrn und einen begabten Architekten zu Urhebern. Der eine ist oft sogar die Voraussetzung für den anderen.“

Von dieser Wechselwirkung schrieb Manfred Sack, Träger des Hamburger BDA Baukultur Preis 1994, in einer kleinen, feinen Publikation des BDA Bremen mit dem vielsagenden Titel „Von der Utopie, dem guten Geschmack und der Kultur des Bauherren – oder: Wie entsteht gute Architektur?“ Geschmack, Kultur und richtig gute Architektur entdeckten die BDA Kolleg:innen im Rahmen der letzten Landesratssitzung am 21. März bei einer Führung durch die Jacoby Studios an den Ufern der Pader. Keinen geringeren als den taufrischen Pritzker-Preisträger David Chipperfield bzw. die Berliner Dependance des Büros David Chipperfield Architects hatten die Bauherr:innen mit dem Entwurf ihrer Firmenzentrale für die fast 1000 Mitarbeiter:innen des familiengeführten Handelsunternehmens beauftragt.

 

Bei Planungsbeginn stand nur die Fassade der Kapelle unter Denkmalschutz.

 

Als die Familie Jacoby 2012 das 9000 qm große Grundstück mit dem ehemaligen Landeshospital St. Vinezent am Rande der mittelalterlichen Altstadt Paderborns kaufte, stand lediglich die Fassade der historischen Kapelle des Gebäudekomplexes unter Denkmalschutz. Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Anlage als Krankenhaus genutzt, im zweiten Weltkrieg teilweise zerstört und nach Kriegsende wieder aufgebaut, aufgestockt und durch zahlreiche Ergänzungen erweitert, sodass die darunter liegende Bausubstanz nicht mehr zu erahnen war. Erst im Planungsprozess förderten Untersuchungen nach und nach die historischen Überreste des Kapuzinessenklosters aus dem 17. Jahrhundert zutage.

 

Foyer in der ehemaligen Sakristei.

 

Das Konzept, welches Planungsteam und Bauherr:innen daraufhin entwickelten, wirkt heute so naheliegend und ist doch so spektakulär. Die Überreste der ehemaligen Klosteranlage wurden freigelegt und bilden heute als sichtbare Ruine, Leitbild und Herzstück des Ensembles.
Die ehemalige Kapelle wurde zum Entree, an das sich das Foyer in der ehemaligen Sakristei anschließt. Auch der doppelgeschossige historische Kreuzgang der Klosteranlage ist heute als offener Innenhof wieder erlebbar und wird von den zwei- bis dreigeschossigen Neubauflügeln flankiert. Material- und Farbwahl zeugen von viel Fingerspitzengefühl und fügen Alt und Neu zu einem harmonischen Ganzen, ohne die Zeitschichten zu verdecken. Das historische Bruchsteinmauerwerk wurde restauriert, ausgebessert und wo nötig ergänzt. Der Neubau aus Sichtbeton und Holz, die Außenanlagen, das Mobiliar, ja selbst die Etiketten der Wasserflaschen und die angebotene Torte, alles fügt sich zu einer gestalterischen Einheit.

 

Neubauflügel in Beton und Holz
Tagungsraum für die Landesratssitzung des BDA NRW

 

Hört man den Firmengründer Franz Jacoby oder seine Tochter Ellen Jacoby über die Planungs- und Bauzeit sprechen, scheint der Funke jedenfalls übergesprungen zu sein. Von den ausführenden Gewerken bis zu den Entwerfern (David Chipperfield Architects Berlin) und Planern (Schilling Architekten, Köln) hätten „alle an einem Strang gezogen“. Von dem Mut der Bauherr:innen ganz zu schweigen, die hier für außergewöhnliche Baukultur eine gehörige Portion Risiko auf sich genommen haben. Es gibt zu viele Projekte, die diese Vertrauensbasis zwischen Autraggeber:innen und Architekt:innen vermissen lassen. Um Manfred Sack nochmal zu zitieren: „Der Bauherr in Person wird immer seltener, der Bauherr in Gestalt einer anonymen, ständig um die Absicherung seiner Entscheidung besorgten Kommission immer häufiger.“ In Paderborn jedenfalls ereignete sich einer jener „Glücksfälle für Stadt, Bauherrschaft und Architekten“, wie es im Juryprotokoll des BDA Architekturpreis Nordrhein-Westfalen heißt, mit dem das Projekt 2021 ausgezeichnet wurde. Nur zu Recht würdigt der Preis Architekt:innen, Stadtplaner:innen und Bauherrschaft gleichermaßen.

Nicole Richter

 

Bauherr:in: Ellen Jacoby, Franz Jacoby, Yvonne Jacoby
Architekt:in: David Chipperfield Architects, Berlin
Ausführungsplanung/Kontaktarchitekt:in: Schilling Architekten, Köln
Landschaftsarchitekt:in: Wirtz International Landscape Architects, Schoten
Fertigstellung: 2020
Bruttogrundfläche: 12.500 qm