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ARCHITEKTURPREIS LINKER NIEDERRHEIN 2023 entschieden

22. Dezember 2023

Der mit diesem Preis angestrebte öffentliche Diskurs stellt die Frage nach der Qualität des Planens und des Bauens in Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt alle 3 Jahre aufs Neue.
Die Einreichung der 16 zugelassenen Arbeiten und die Tagung der Jury am 24.11.2023 haben diesen Diskurs eröffnet, der jetzt eine breite Öffentlichkeit sucht. Die Preisverleihung und anschließenden Wanderausstellung will das Bewusstsein für die Bedeutung einer qualitätvollen und nachhaltigen Gestaltung unserer baulichen Umwelt schaffen.

Susanne Titz, Direktorin des Museum Abteiberg, Mönchengladbach,
Wiebke Schlüter, Dipl.-Ing. Architektin, Köln,
David Kasparek, Journalist und Architekturvermittler BDA, Bonn,
Alexander Bartscher, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Architekt BDA, Aachen,
Sven Aretz, M.Sc. Architekt BDA, Köln und
Florian Hoogen, Dipl.-Ing. Architekt BDA, als Vertreter des Auslobers und beratende Stimme, haben nach intensiver Tagung eine Auszeichnung und zwei Anerkennungen vergeben.

Auszeichnung

© Julia Schambeck
© Julia Schambeck
© Julia Schambeck

ZENTRALBIBLIOTHEK MÖNCHENGLADBACH
Architektur: Schrammel Architekten Stadtplaner, Augsburg
Freianlagen: Landschaftsarchitekt Aalto,
Bauherrschaft: Stadt Mönchengladbach

Undogmatisch und frei von Ideologie wird hier bestehende Architektur für zeitgemäße Bedürfnisse adaptiert und aktualisiert. Unweit des Hauptbahnhofs und unmittelbar am Adenauerplatz gelegen erreicht die Zentralbibliothek Mönchengladbach diese Aktivierung durch wenige, klug gesetzte architektonische Eingriffe. Entlang der Blücherstraße wird ein Gartenhof in die Erde gegraben und ein von der Straße abgerückter eingeschossiger Baukörper eingefügt, der den Bestand der Bibliothek mit dem neuen, geschützten Außenraum verbindet, das Straßenniveau jedoch nicht übersteigt. Im Nordosten des bestehenden Baus erweitert eine neue Winkelfigur das Ensemble. Sie funktioniert im Inneren als zweigeschossiger, großzügiger und heller Verteiler, von dem der Archivturm, die Bücherhallen und das neue Café gleichermaßen erreichbar sind. Folgerichtig finden sich hier die Schalter für Information und Ausleihe. Der davorliegende kleine Platz wird von der einzigen erhaltenen historischen Platane beschattet und durch die Außengastronomie des Cafés belebt.

Im Inneren findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Orte und Situationen: von einer Kletterwand und höhlenartigen Holzmodulen über, durch farbige Vorhänge abgeteilte, kreisrunde Separees und eine mit Plattenspielern ausgestattete Vinylbar hin zu einer Gaming Area und einem Maker Space. Kastenfenster, Fassadenfließen und alte Fenster werden im Inneren fast wie Spolien behandelt und legen die Zeitschichten des Hauses offen. Der tiefliegende Hof mit der Skulptur „Das Gespräch“ von Peter Haak lädt im Sommer zum Lesen im Freien und zu gemeinschaftlichen Veranstaltungen ein. Der leicht schräg darüber hinweglaufende Steg aktiviert das Grundstück als Fußweg, sodass der Raum direkt an der Straße für Pflanzungen frei bleibt und gleichzeitig der Innenhof möglichst weit an die Grundstücksgrenze wächst. Potenziell pathetisch macht dieser Eingriff jedoch angemessen klar, dass der Weg und damit der Ort als etwas Besonderes in der Stadtgesellschaft erkannt werden. So wird die Zentralbibliothek ein im städtischen Umfeld präsenter Bau, ein inklusiver Ort ohne Barrieren, der alle Mitglieder der Stadtgesellschaft gleichermaßen einlädt und somit zu dem, was in der Soziologie als „soziale Tankstelle“ bezeichnet wird: Ein geschützter Raum, in dem wir uns über unsere jeweiligen Milieugrenzen hinweg niederschwellig begegnen können … mehr zum Projekt

Anerkennungen

© Constantin Meyer
© Constantin Meyer
© Constantin Meyer

KREISARCHIV VIERSEN
Architektur: DGM Architekten, Krefeld
Bauherrschaft: Kreis Viersen

Das neue Kreisarchiv in Viersen überzeugt auf konzeptioneller Ebene. Bemerkenswerte Außenanlagen dienen dem Bau und seiner Umgebung als Schwamm und damit als mildernder Puffer für Starkregenereignisse, die – auch durch die Dachentwässerung – auf dem Grundstück entstehenden Wasserflächen und Pflanzen auf dem Areal regulieren das Mikroklima, die angesiedelte Flora zieht entsprechende Fauna nach sich, sodass durch den Bau des Archivs die Biodiversität des Ortes vergrößert werden konnte. Ein Steg lädt Passant:innen wie Mitarbeitende ein, diesen Außenraum zu begehen und weitet sich zu einer Pausenstelle samt Sitzgelegenheit. Das Archiv ist hier ein Lernort, der öffentlich macht, welchem Zweck er dient. Büros, Leseräume und Werkstatt sind von außen einsehbar, im inneren herrscht eine barrierefreie und einladende Atmosphäre. Mit wiederverwendeten Ziegelsteinen für den zentralen Archivkubus und im Sinne des kreislaufgerechten Bauens gefügten Glas-, Holz- und Lehmbauteilen zeigt das Haus eine Möglichkeit auf, wie sich Debatten unserer Zeit in Architektur manifestieren können. Durch die Menge an Materialien wirkt das Haus jedoch selbst ein wenig wie ein Materialarchiv und so mitunter recht wahllos collagiert. Auch die Güte der Fügung der Materialien wird von der Jury kritisiert. Ebenfalls Zeugnis unserer Zeit: Eine schier unendliche Fülle von Fühlern und Sensoren zeugen ebenso wie Rolltore davon, dass der Brandschutz unserer Tage eine Wirkmacht erhalten hat, die nicht nur architektonische Konzepte negiert, sondern selbst von der fachlichen Expertise der Nutzenden in Frage gestellt wird. Dass der Archivbau dennoch einen Ort schafft, der sympathisch ist und an dem man sich aufhalten möchte, ist insofern erst recht anzuerkennen … mehr zum Projekt

 

© Constantin Meyer
© Constantin Meyer
© Constantin Meyer

NACHVERDICHTUNG IM HINTERHOF
Architektur: schrötgens architekten, Mönchengladbach
Bauherrschaft: Eheleute Hümbs

Die unscheinbare Straße im Süden von Mönchengladbach-Rheydt ist geprägt von einer typischen baulichen Mischung zwischen Gründerzeit und Nachkriegsmoderne, deren Blockstruktur zwar weitestgehend intakt ist, immer wieder aber durch großformatige Bauten unterbrochen ist. Die Straßenfassade eines dieser Gründerzeithäuser verrät noch nichts über den dahinterliegenden Kern des Projekts. Die Erdgeschossfenster des dreiachsigen Hauses zeugen von einer gewerblichen Nutzung, die südlichste Achse nimmt den Eingang auf. Durch die Nachverdichtung dieser Struktur am rückwärtigen Teil des Gebäudes wird nicht nur der historische Typ der Hinterhofbebauung aktualisiert, sondern auch verhandelt, wie wir wohnen. Barrierefrei ermöglicht der eingeschossige Anbau den Bewohnenden ein langes Leben vor Ort und erschließt gleichzeitig die Wohnräume des bestehenden Hauses für Vermietung und die damit einhergehende Finanzierung des Lebensabends. So wird auch ein Zusammenwohnen unterschiedlicher Generationen in der Stadt möglich. Als feingefügter Holzbau deutet das Projekt die Potenziale des Ortes jedoch nur an. Die Jury kritisiert die nicht weiter ausformulierte Verzahnung von Innen und Außen, wo die Innenräume des Anbaus recht unvermittelt an der Fassade enden. Die fast vollständige Verglasung hätte eine markantere Gestaltung des Außenraums und eine damit einhergehende noch stärkere Aktivierung als ungedeckter Wohnraum erwarten lassen können. Dennoch schafft der kleine Anbau nicht nur neuen Wohnraum, sondern hält auch bestehende Räume in Wert, indem er sie aktiviert … mehr zum Projekt